Kirchentheorie und Kybernetik

Die im Studium erworbene theologische Kompetenz soll im Blick auf das Gesamtverständnis der Kirche und ihrer Praxis erweitert und vertieft werden. Kirchen- bzw. Gemeindeentwicklung wird (ausgehend von einer ökumenischen Geschichte der Kirchenformen, die die Gestalten von Kirchen geformt haben) im Blick auf ihre Bedingungsfaktoren reflektiert. Dazu gehören: Kirchenverständnisse (in Auseinandersetzung mit der Kirchenordnung der EKHN und dem ökumenisch verantworteten evangelischen dreistufigen Kirchenbegriff), Gesellschaftswahrnehmungen (funktionale, soziale, räumliche und zeitliche Strukturierungen; inter-kulturelle und inter-religiöse Entwicklungen; das deutsche Religionsverfassungsrecht im Vergleich), Missionskonzepte (ökumenische Positionen; religiöse Dynamiken, z.B. zwischen primärer und sekundärer Religiosität, Kirchenzugehörigkeit und ritueller Praxis) sowie die Rolle des Pfarrdienstes (Person – Amt – Beruf) im Kontext anderer Berufe, der Ehrenamtlichen in der Kirche und des allgemeinen Priestertums im gesellschaftlichen Alltag.

Die Aufgabe der Steuerung von Kirche in den gesellschaftlichen Transformationsprozessen wird ausgehend von der „geistlichen Leitung“ fokussiert. In Auseinandersetzung mit organisationstheoretischen Zugängen (formale, informale und Außenseite der Organisation; Zentralität von Entscheidungen) und dem Konzept des St. Galler integrierten Management (Unterscheidung von normativen, strategischen und operativen Leitungsaufgaben) wird die „episkopale“ Aufgabe von Pfarrer/innen in Kirchenvorständen als strategischen Leitungsorganen präzisiert und rechtlich eingeordnet (Kirchenvorstandsrecht). Zentrale Steuerungsmechanismen (Entwickeln von Strategien, Organisieren von Prozessen, Führen von Personal) werden in den Blick genommen und in den Bereichen Personalführung (Personalgespräche, Konfliktbearbeitung), Haushaltsplanung und Öffentlichkeitsarbeit vertieft. Besonders bearbeitet werden auch die im pfarramtlichen Alltag grundlegenden Rechtskreise des Personalrechts (Arbeits- und MAV-Recht, Pfarrdienstrecht mit den besonderen pfarramtlichen Aufgaben: Kirchenbuch-, Chronik- und Siegelführung) und des Kasualrechts (Lebensordnung, Mitgliedschaftsrecht).

Die Aufgabe der geistlichen Orientierung durch Pfarrer/innen wird noch einmal vertieft in der Arbeit an „Theologischen Gegenwartsfragen“. Die Pflege und Weiterentwicklung der grundlegenden theologischen Kompetenz wird erprobt an ethischen Kontroversen (z.B. im Blick auf Anfang und Ende des Lebens), konkurrierenden Deutungsangeboten (z.B. in Filmen oder Computerspielen) und theologischen Orientierungsbegriffen (z.B. Vergebung, Erbsünde). Im Konzept einer „öffentlichen Theologie“, die sich in allen pastoralen Handlungszusammenhängen erweisen soll, wird die klassische pastorale Aufgabe des „publice docere“ für die gegenwärtige Situation neu akzentuiert.

In den Kurswochen zu Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung, die in Zusammenarbeit mit den anderen Seminarprofessor/innen stattfinden, werden die kirchentheoretischen und kybernetischen Zugänge weiter vertieft und erprobt.